Rundgang

Willkommen auf der Onkel-Tom-Tour

Die Waldsiedlung Zehlendorf, wie die Siedlung offiziell heißt, oder die „Onkel Tom Siedlung“, wie die Siedlung im Volksmund bald und bleibend genannt wurde, ist eine von dem Architekten Bruno Taut entworfene und von der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft GEHAG errichtete Siedlung aus der Bauzeit von 1926 – 1931/32.

Wir freuen uns über Ihr Interesse an der Siedlung. Dieser interaktive Tour Guide führt Sie durch die unterschiedlichen Bereiche der Siedlung und hält neben historischen und architektonischen Details auch die eine oder andere interessante Anekdote für Sie bereit.

Der Guide stellt auf eine Führung durch die Siedlung in einem Zeitrahmen von maximal zwei Stunden ab. Er führt an 21 beschriebenen Standorten vorbei.

Start der Onkel-Tom-Tour

Zur Entstehung der Siedlung

Die gesellschaftspolitische Situation nach dem Ersten Weltkrieg war durch den katastrophalen Wohnungsmangel gekennzeichnet. Im Reich fehlten Millionen, in Berlin Hunderttausendende Wohnungen. Viele Familien waren in unzureichenden, ungesunden Wohnverhältnissen in Raumknappheit und Belastungen vielfältiger Art untergebracht. Der Begriff des „Steinernen Berlin“ charakterisiert das Fehlen von Frei- und Grünflächen auf den Wohngrundstücken wie im Wohnumfeld.

Im Kaiserreich war die Herstellung von Wohnungen ausschließlich durch Privatwirtschaft bestimmt. Der Staat förderte die Wohnungsversorgung nur von Staatsbeamten aus der Verwaltung, dem Militär, der Bahn, der Post u. ä.. Dies erfolgte zumeist durch Genossenschaften als Bauträger. Kirchliche Einrichtungen und wohltätige Stiftungen von Privatpersonen und humanitären Institutionen ergänzten dieses System. Allerdings erreichte dies nur eine quantitativ geringe Wirkung, da durch Industrialisierung und Urbanisierung seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhundert der Bedarf stark angewachsen war. Erst die im Laufe des Ersten Weltkrieges eingeführten Heimstättenbewegungen für heimkehrende – häufig invalide – Soldaten führte zu einer direkten finanziellen Förderung des Staates in „letzter Minute“.

Mit und nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Anzahl der Berliner Einwohner auf über 4 Millionen. Damit nahm die Wohnungsnot aus mehreren in der Literatur breit dargelegten Gründen dramatische Züge an. In den 20er Jahren zogen allein 400.000 Neuberliner zu. Dies wurde damit zum Politikum höchster Priorität.

Mit der Revolution von 1918 und der Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts mit seinen „Hausbesitzerparlamenten“ konnte die einseitige Bodenverfügbarkeit sowie die Haus- und Bodenspekulation eingedämmt werden. Die Weimarer Republik mit ihren zunächst sozialdemokratischen Mehrheiten nahm als Staat dieses Problem zum erstmals generell in ihre Verantwortung. Entsprechende Regelungen wurden in die Weimarer Verfassung aufgenommen.

Erst nach der Inflation von 1923 und durch die Stabilisierung der Reichsmark von 1924 konnte die finanzielle Grundvoraussetzung für eine Umsetzung geschaffen werden. Dies erfolgte insbesondere mit der 1924 reichsweit eingeführten sogenannten Hauszinssteuer – der Hypothekenentschuldungssteuer – sowie den US-amerikanischen Finanzmitteln des Dawes-Planes und einem verstärktem Engagement der Kommunen. Die Hauszinssteuer beruhte auf der Löschung der Hypotheken auf alle Immobilien durch die Inflation. Diese Mittel kamen zum Teil der Wohnungserstellung zugute. Ab 1924 löste dies eine Welle von Gründungen von Wohnungsbaugesellschaften auf kommunaler und Länderbasis aus. Insbesondere die Aktivitäten der Gewerkschaften spielen hier eine Rolle.

Die Gründung der hier vor Ort tätigen Berliner GEHAG – der Gemeinnützigen Heimstätten Spar- und Bau Aktiengesellschaft – im Jahre 1924 sowie die reichsweite Gründung der hier aktiven GAGFAH – der Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Angestellten Heimstätten – gegründet schon 1919 gehören dazu. Die GEHAG war eine Tochter der DEWOG – der Deutschen Wohnungsfürsorge Aktiengesellschaft der freien Gewerkschaften – mit der Aufgabe des Baus von Wohnungen für Beamte, Angestellte u. Arbeiter. Diese wurde u. a. von Dr. Martin Wagner als Gewerkschaftsfunktionär der „Sozialen Baubetriebe“ – der „Bauhüttenbewegung“ -initiiert und organisiert.

Die GEHAG schuf zunächst neben einigen kleineren Wohnanlagen die erste Großsiedlung in Britz, die sogenannte Hufeisensiedlung, und 1926 als nächstes die hiesige „Waldsiedlung Zehlendorf“ unter der Oberbauleitung des Dr. Martin Wagner. Er wurde im selben Jahr noch Mitglied des Berliner Magistrates für Hoch- und Städtebau wie auch Ernst Reuter für das Verkehrswesen.

Die 3 Architekten Bruno Taut, Hugo Häring und Otto Rudolf Salvisberg konzipierten nach den städtebaulichen Entwürfen von Bruno Taut Teilbereiche. Die Errichtung der Siedlung erfolgte in einer Größenordnung für rund 5.000 Einwohner in etwa 2000 Wohneinheiten, davon 1.100 Mietwohnungen und rund 900 Einfamilien-Reihenhäusern im Eigentum.

Der Grundbesitz des gesamten Siedlungsgebietes konnte von dem Inhaber der Zehlendorfer Terraingesellschaft AHAG, Adolf Sommerfeld, erworben werden. Größere Genehmigungsvorbehalte durch die Zehlendorfer Politik waren dem vorausgegangen. Hierzu wird aus Zeitgründen auf die Literatur verwiesen. Nur soviel: Die Zehlendorfer Politik als Vertretung des bürgerlichen Zehlendorf war ausschließlich an der Schaffung von Wohngelegenheiten in Villengebieten und entsprechenden individuellen Hausformen in kleinteiliger, offener – zumeist auch malerischer – Bauweise mit Steildach interessiert. Ihre Zielgruppe war weiterhin die Ansiedlung des „steuerkräftigen Publikums“.

Die Zielgruppe des neuen Verfassungsartikels war jedoch nicht die gesuchte Klientel – auch nicht deren sich langsam entwickelnde kompakte sparsamen Bauformen: die bezahlbaren Kleinwohnungen für untere Einkommens-schichten.

Hier ein Zitat aus dem Artikel 155 der Reichsverfassung:
“Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staatswegen in einer Weise, die Missbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsweise zu sichern“.

In die Auseinandersetzungen zwischen Bezirk u. GEHAG wurden – nun nach der Bildung der Einheitsgemeinde Berlin von 1920 – der Berliner Magistrat unter seinem Oberbürgermeister Gustav Böß und sogar die Preußische Ministerialbürokratie mit einbezogen. So wurde ein vom Bezirk veranlasster Haftbefehl aufgrund eines unerlaubten Baubeginns gegen den Stadtbaurat Martin Wagner und den Architekten Bruno Taut aufgehoben.

In den ersten Jahren erfolgte die Vergabe der Wohnungen durch das bezirkliche Wohnungsamt auf der Grundlage eines strengen Kriterienkataloges, nicht durch die Wohnungsbaugesellschaft GEHAG selbst. Auf alle wirtschaftspolitischen Zusammenhänge muss hier auf sonstige Literatur verwiesen werden.

Martin Wagner, Bruno Taut und viele weitere engagierte Gewerkschaftler, Politiker, Architekten u. a. der damaligen Zeit arbeiteten und kämpften für bezahlbare Wohnungen der unteren Einkommensschichten in einem besseren Wohnumfeld im gesundheitlichen, sozialen und kulturellen Sinne.

1990 wurden die Regelungen zur Gemeinnützigen Wohnungswirtschaft schließlich aufgehoben. Im Jahr 2000 wurde die GEHAG vom Berliner Senat mit Zustimmung des Abgeordnetenhauses veräußert, d.h. privatisiert. Es folgten 7 neue Eigentümer, darunter US-amerikanische Hedgefonds. Am Ende dieser Kette steht heute die „Deutsche Wohnen“, eine Fusion aus dem US-Unternehmen „Oaktree“ und einer Tochter der Deutschen Bank, inzwischen ein börsennotiertes Unternehmen mit einem der größten Wohnungsbestände Deutschlands.

So wurde aus dem sozial engagierten Unternehmen der GEHAG, der GEMEINÜTZIGEN WOHNUNGSWIRTSCHAFT mit auf 4 Prozent begrenzter Gewinnorientierung, ein börsennotiertes Unternehmen. Dies hatte zur Folge, dass etliche Mieter aufgrund schmerzlicher Mieterhöhungen aus diversen Modernisierungsumlagen „ihre“ Siedlung verließen. Inzwischen sind zeitweilige Leerstandshäufungen weitgehend  beseitigt. In die begrenzt freiwerdenden Reihenhäuser zieht gerade eine neue Generation und füllt die Kindergärten.

Man darf sich freuen, dass die Waldsiedlung Onkel Toms Hütte seit 1982 unter Denkmalschutz steht, der schlimmere Verunstaltungen verhindert. Dies geschah auf Initiative von in der Siedlung wohnenden Architekten, die sich gegen die vorangehenden Beeinträchtigungen sträubten.

Die „Deutsche Wohnen“ hat dazu beigetragen, dass in den letzten Jahren die Häuser der Wilskistraße bis zum Waldhüterpfad denkmalgerecht rekonstruiert wurden.

Dieser Guide möge dazu beitragen, die Einmaligkeit der Siedlung in einem komplexen Sinne im Bewusstsein zu erhalten und neuen Bewohnern Zugang hierzu zu vermitteln.

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